The Demon Behind You

Full Version: Schreibprobe Esther
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Die gleißende Frühlingssonne Nevadas brannte erbarmungslos auf den Asphalt des Highways und wäre Esther ein Mensch gewesen, hätte sie wohl schon lange der Hitzschlag getroffen. Als, nennen wir es einmal pensionierter Engel des Herren jedoch, war es ihr auch ohne Sonnenhut und -creme problemlos möglich, im Schneidersitz auf dem Dach der Tankstelle zu sitzen und dort Däumchen zu drehen. Sie trug ein weite, farbenfrohe Hose aus flatterndem, orangeroten Stoff und ein dazu passendes, bauchfreies Oberteil mit weiten Ärmeln und ihre nackten Füße baumelten über den Rand des Daches. Die durchgetretenen Römer-Sandalen lagen unter ihr auf der Erde. Ihr langes, hellblondes Haar, welches sie zu einem achtlosen Zopf gebunden hatte, schimmerte fast golden unter den Strahlen der Wüstensonne und der Blick ihrer neblig grünen, von hellen Wimpern eingerahmten Augen war auf irgendetwas in weiter Ferne gerichtet. Ganz in der Nähe des Punktes, an dem Himmel und Erde sich in einer flimmernden Linie am Horizont vereinigten.
Gedankenverloren kaute sie auf einem Cracker herum, der langsam zwischen ihren Fingern zerbröselte. Der salzige Geschmack breitete sich auf ihrer Zunge aus. Normalerweise löste jedes Aroma - ob gesehen, geschmeckt oder gerochen - eine wahre Explosion in ihren Sinnesorganen aus, die sich selbst nach einigen Millionen Jahren noch nicht an die Intensität der Erde gewöhnt hatten, doch dieses Mal schien sie ihn kaum wahrzunehmen. Cracker um Cracker verschwand zwischen ihren Lippen. Die repetitive Bewegung schien sie zu beruhigen.
Sie wartete auf jemanden... nein, auf etwas. Nach allem was passiert war, weigerte sie sich, die Sippschaft der Unterwelt noch weiter zu personifizieren. Schlimm genug, dass sie hier auf der Erde auf Augenhöhe miteinander kommunizieren mussten, wenn sie nicht einen erneuten Krieg heraufbeschwören wollten. Ein Schauer überlief sie bei dem Gedanken an Crowley und sie schüttelte den Kopf, riss ihren Blick vom Horizont und stützte das Kinn in beide Hände.
Ein einsamer Geier hockte dort auf der Straße unter ihr und zerrte an etwas herum, das wohl einmal lebendig gewesen war und ihren Schuhen nun zum Verwechseln ähnlich sah. Sie warf ihm einen ihrer Cracker zu und beobachtete liebevoll, wie er ihn mit einem Happs verschlang. Zu so einem schweren Mahl brauchte man doch eine Beilage…
Plötzlich blitzte ein roter Streifen zwischen den staubigen Dünen der Wüste auf und wäre nicht das heisere Röhren eines teuren Automotors gewesen, hätte man den Farbblitz für eine Fata Morgana halten können. Nur wenige Augenblicke später brüllten ein ohrenbetäubendes Reifenquietschen und der herzzerreißende Schrei eines verletzten Tieres durch das Tal und verklangen als dramatisches Echo im Nichts.
Esthers Magen krampfte sich schmerzhaft zusammen, doch noch ehe sie dem verletzten Vogel zu Hilfe eilen konnte, drückte sich etwas kaltes, glattes gegen ihre Kehle. Sie schluckte schwer und musste sich nicht einmal umdrehen, um zu wissen, wer sie da so liebevoll begrüßte. Das hatte sie wohl davon, wenn sie sich mit Dämonen einließ...
"Wenn du schon unbedingt ein Mensch sein willst, warum verhältst du dich dann nicht auch wie einer?"
Esther widerstand dem Drang, erschrocken herumzufahren und drehte betont gemächlich den Kopf, auch wenn das Herz in ihrer Brust hämmerte. Die Hände an ihren Seiten waren zu Fäusten geballt. Sie wollte diese unangenehme Begegnung so schnell wie möglich hinter sich bringen, denn das Leben der armen Kreatur unter ihr hing nun vollends von ihr ab.
Sie erwiderte nichts, sondern fixierte ihr Gegenüber nur aus halb zusammengekniffenen, Funken sprühenden Augen. Er fuhr sich gerade mit einem schmierigen Grinsen durch das weißblonde Haar und seine völlig schwarzen Augen schienen das Sonnenlicht vollkommen zu verschlucken, anstatt es zu spiegeln. Er steckte in der Hülle eines muskulösen, leicht furchteinflößenden Mannes, der seine besten Jahre jedoch schon hinter sich gelassen hatte und hatte das Gesicht zu einer grimmigen Grimasse verzogen. Er schien die zusätzliche Anstrengung nicht zu schätzen, die er benötigt hatte, um auf das Dach zu gelangen.
"Hast du ihn gefunden?", fragte sie und ihre Stimme klang dabei viel weicher und brüchiger, als sie sich eigentlich gewünscht hätte. Sie wollte sich nicht räuspern und beinahe hätte sie sich an ihren Worten verschluckt.
Das Gesicht des Schwarzäugigen verdüsterte sich und er schüttelte den Kopf. Mit einem angeekelten Gesichtsausdruck spuckte er in die Tiefe.
"Diese Winchester-Spinner aus Kansas haben ihn sich geschnappt, bevor ich es tun konnte."
Sie hatte nichts anderes erwartet und doch fühlte die Abweisung sich an wie ein Schlag in die Magengegend.
"Schade.", sagte sie leise und wäre am liebsten in Tränen ausgebrochen. Ihr Vorhaben erschien ihr mit einem Mal aussichtslos und lächerlich.
Der Dämon machte einen halben Schritt auf sie zu und legte ihr einen kalten, nach Schwefel und Zigarettenrauch riechenden Zeigefinger unter das zitternde Kinn.
"Es tut mir Leid, Esther. Aber ein Deal ist ein Deal." Seine Zunge schlüpfte zwischen seinen Zähnen hervor und strich über die aufgeplatzte Unterlippe, sodass sie im Licht der Sonne ölig glänzte. "Wie planst du denn, mich auszuzahlen?"
Esther schluckte schwer und wandte den Blick ab. Ihre Unterlippe zitterte und es wallten bereits Tränen in ihren beinahe türkisfarbenen Augen auf. Sie konnte nicht verhindern, dass ein leiser, gequälter Laut ihrer Kehle entsprang.
Das lenkte den Dämon wohl für einen Augenblick ab, denn er ließ für den Bruchteil einer Sekunde das Schild sinken, dass er zur Sicherheit um sich gesponnen hatte und gab ihr so die Möglichkeit, all ihren angestauten Hass und die Frustration, die in ihrer Kehle nach bitterer Galle schmeckte, in Form eines hellen Lichtblitzes auf ihn abzufeuern. Seine dunklen Augenhöhlen entflammten in einem gleißenden, aquamarinfarbenen Licht und der Mund seiner Hülle öffnete sich zu einem gequälten, tonlosen Schrei, ehe sie regungslos in sich zusammensackte.
"Dann werde ich wohl selbst nach diesen... Winchesters suchen müssen.", murmelte sie leise zu sich selbst, während sie ihren Fuß unter dem Körper des Dämonen, dessen Namen sie bereits vergessen hatte hervorzog und sich in einer eleganten, geübten Bewegung vom glühend heißen Dach der Tankstelle schwang. Ihre Schuhe würde sie zurücklassen. Sie würden ihr beim Fliegen nur im Weg sein.
⋆。°✩
Eddy rieb sich die brennenden Augen nun zum bestimmt fünfzigsten Mal und schwor sich noch einmal, sich nie wieder alkoholisiert hinter das Steuer seines geliebten, scharlachroten Pickup-Trucks zu setzen. Er hatte nur kurz eine SMS an seine Frau schicken wollen, da hatte er doch so ein dämliches Aasfresser-Viech gerammt. Und als hätte dies noch nicht ausgereicht, war der Tramper, den er vor einigen Meilen aufgegabelt hat nun auch noch verschwunden... zusammen mit seinem Geldbeutel.
Tatsächlich war es jedoch nicht der Schaden an seinem Auto oder an seinem Bankkonto, der Eddy am meisten zu schaffen machte. Denn gerade hatte er fassungslos dabei zugesehen, wie ein blondes Mädchen, nicht viel älter als seine jüngste Tochter, vom Dach der Tankstelle gesprungen war. Dies allein wäre schon merkwürdig genug gewesen, doch offensichtlich hatte sie sich nicht einmal einen Kratzer bei dieser halsbrecherischen Situation zugezogen und nun kniete sie dort auf dem glühend heißen Asphalt vor seiner Kühlerhaube und verband dem verletzten Geier den blutverkrusteten Flügel.
Das Tier gab einige erstickte, gurgelnde Klagelaute von sich, während es sich an ihren Körper schmiegte, der in bunte Stofffetzen gehüllt war, die ihn an den Kleiderschrank seiner verstorbenen Mutter erinnerten.
Noch ein weiterer Augenblick und der Vogel, welchen Eddy eigentlich schon bei dem unsanften Aufprall als nicht mehr lebensfähig abgeschrieben hatte, erhob sich heiser krächzend in die Lüfte und flog mit langen, kräftigen Flügelschlägen der grellen Sonne entgegen. Dabei zog er den weißen Stoff seines Verbandes wie ein flatterndes Banner hinter sich her, ehe es sich vollständig löste und wie ein verdorrtes Blütenblatt gen Erde segelte.